"Liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich...??"
Aktive Luftraumüberwachung in Mitteleuropa

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Österreichs Luftraumüberwachung über bilaterale Verträge durch Nachbarstaaten ausüben lassen, so lautete der Neujahrsvorschlag von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter.

Vielleicht haben ja - ganz wider dem Umverteilungs-Mainstream seiner Partei - doch grundedle Sparideen zu jener phantastischen Visualisierung der zweiten Strophe der Bundeshymne geführt. Trotzdem war rasch klar daß das nicht Parteilinie ist und selbst der als einsamer Feldchirurg von den Eurofightern gefürchtete Verteidigungsminister mußte sich zähneknirschend was von "unausgegoren" und "nicht hilfreich" abpressen. Dennoch kommt das Argument Kräuters immer wieder dutzendfach im Web, man erkennt auch die über Jahre selbstbefruchtende Medienorgel der SPÖ. Aber wie real könnte so ein ‚Outsorcing' im täglichen Leben sein? airpower.at hat auf die Landkarte geschaut, die werten Leser mögen sich hier für Forumsschlachten gerne bedienen...

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Kapazitäten im Bereich der "aktiven" Luftraumüberwachung - sprich die Flugzeuge selbst - mehr als 20 Jahre nach Ende des kalten Krieges in Mitteleuropa überschaubar sind. Praktisch alle Kleinstaaten - mit Ausnahme der Schweiz - haben auf einen Standort und eine Staffel Flugzeuge reduziert.

Beginnend im Norden im Uhrzeigersinn sind das

  • Tschechien; Standort: Cáslav; Flugzeuge: 14 x Saab Gripen
  • Slowakei; Standort: Sliac; Flugzeuge: 12 x MiG-29
  • Ungarn; Standort: Kecskemét; Flugzeuge: 14 x Saab Gripen
  • Kroatien; Standort: Zagreb-Pleso; Flugzeuge: 10 x MiG-21
  • Italien; Standort: Cervia; Flugzeuge: 10 x F-16 ADF
  • Italien; Standort: Grosseto; Flugzeuge: zwei Staffeln Eurofighter
  • Schweiz; Standort: Payerne; Flugzeuge: zwei Staffeln F/A-18 Hornet
  • Schweiz; Standort: Meieringen; Flugzeuge: eine Staffel F/A-18 Hornet
  • Schweiz; Standort: Emmen; Flugzeuge: eine Staffel F-5 Tiger
  • Schweiz; Standort: Sion; Flugzeuge: eine Staffel F-5 Tiger
  • Deutschland; Standort: Neuburg a.d. Donau; Flugzeuge: zwei Staffeln Eurofighter
Auch Österreich ist - lässt man die Saab 105 in Linz unberücksichtigt - durch die Schließung von Graz/Thalerhof auf den Standort Zeltweg reduziert. Dort sind 15 Eurofighter stationiert.

Wir haben um jeden Standort eine 200km Radius gezogen. Dies grenzt jenen Bereich ein, den ein halbwegs brauchbarer Abfangjäger binnen 10min. ab dem Abheben jedenfalls erreichen sollte. Ein Wert der im Durchschnitt (1.200km/h) schon Überschallgeschwindigkeit erfordert. Für den Draken z.B. - und für die MiG-21 (Kroatien) - war das nicht nur vom Tempo das höchste der Gefühle sondern auch schon vom Treibstoffverbrauch praktisch am Limit. So eine Aktion verbrauchte schon so viel vom verfügbaren Treibstoff, dass man danach sofort heimkehren musste. Die F-5 (Schweiz) machts ein bisschen langsamer dafür spritsparender.
Das derzeit leistungsfähigste Jagdflugzeug in Europa - der Eurofighter - unterbietet wenn es sein muss die 10min./200km Marke mit Leichtigkeit - und es bleibt auch noch Treibstoff über und es somit nicht sofort umgedreht werden.

MiG-29 (Slowakei), Saab Gripen (Tschechien und Ungarn) und F/A-18 Hornet (Schweiz) liegen da dazwischen. Wobei die MiG-29 zwar potentiell am schnellsten fliegen könnte, dabei aber mit Abstand auch am meisten Treibstoff benötigt. Die hohe Geschwindigkeit ist also in der Theorie ein nettes Feature, in der Praxis ein recht kurzes Vergnügen.
Gripen und Hornet machen es etwas langsamer sind dabei aber deutlich effizienter - die Hornet im Vergleich zum Gripen mit höherer Leistung und Ausdauer ausgestattet.

Was heißt das in der Praxis ?

Die einzige Kombination aus Standort und Flugzeug von der aus alle vier Großräume Wien, Graz, Linz und Salzburg in unter 10min. ab dem Abheben zu erreichen sind... lautet Zeltweg/Eurofighter. Linz und Salzburg sind auch von Neuburg(D)/Eurofighter binnen 10min. erreichbar.

Die MiG-21 aus Pleso bzw. außer im Sommer (Tourismus) auch aus Pula, sind theoretisch eventuell in der Lage noch zeitgerecht Graz zu erreichen....mit praktisch trockenem Tank. Denn vom Treibstoffbudget betrachtet stößt da das mit Abstand kritischste Flugzeug auf der Landkarte schon fast an seine Grenzen. Ebenso wie die MiG-29 aus Sliac Wien gerade noch so erreichen könnte - Überschallknall inklusive - aber dann auch sehr bald wieder - den Schubhebel vorsichtig streichelnd - den Heimweg antreten müsste.

Für die Böhmen-Gripen aus Cáslav liegen Wien und Linz auch im machbaren Radius, aber auch hier kommt man bei der Rechnung Geschwindigkeit contra Treibstoffvorrat rasch zu jenem Punkt an dem gewendet werden muss. Das Ungarische Kecskemét liegt wie Cervia in Italien bereits deutlich außerhalb des 200km Radius, ganz zu schweigen vom italienischen Grosseto welches über 400km zu Öst. Staatsgrenze entfernt liegt.

Westösterreich ist kurz gesagt die "Problemzone" der österreichischen Luftraumüberwachung. Umgekehrt proportional zur größeren Entfernung von Zeltweg - und somit steigenden Abfangzeiten sinkt die Zeitspanne, in welcher sich ein Flugzeug im österreichischen Luftraum aufhält. Während sich im Zentralraum ein abzufangender Jet durchaus auch mal 20min. über dem Staatsgebiet aufhalten kann, sind das in Tirol vielleicht auch nur 5min. oder gar noch weniger.

Ganz zurecht ist deswegen das österreichische Luftraumüberwachungsduo Goldhaube/Überwachungsgeschwader auch ganz besonders stolz, dass man in dieser schwierigen Ausgangslage die wohl bisher "fetteste Beute" gemacht hat. Dazu zählen u.A. zwei US F-16 die nicht ganz so smart waren wie sie geglaubt haben und ein US-Tanker/Stealthfighter-Kombi das nicht ganz so unsichtbar wie gehofft war. Beide fielen noch - meisterhaft geführten - Draken "zum Opfer".

Dass solche Aktionen nur mit entsprechendem Einsatz und einer gehörigen Portion Motivation, Aufmerksamkeit und Erfahrung machen lassen versteht sich von selbst. Alles Eigenschaften die schlichte Auftragnehmer so nicht haben können und nicht haben werden.

Jene Beispiele zeigen auch ganz deutlich das wohl größte Problem der Outsourcing-Idee: Der potentiell häufigste Luftraumverletzer ist - Absicht oder Fehler hin oder her - die umgebende NATO. Sie soll sich dann über uns selbst überwachen ???

Das klappt noch nicht mal richtig im südlichen Nachbarland Slowenien, dass seine Luftraumüberwachung an den NATO-Partner Italien outgesourced hat. Dass Slowenien bereits mehr als einmal darüber nachgedacht hat, mehr Geld auszugeben und die Luftraumüberwachung doch in eigene Hände - z.B. gebrauchte F-16s - zu nehmen darf als Indiz gewertet werden, dass die erbrachte Leistung öfter als nur gelegentlich nicht ganz den Erwartungen entspricht. Und das obwohl Slowenien keine "Neutralitätsprobleme" hat, sehr wohl aber jüngst ökonomische - wie alle Nachbarn außer der Schweiz vielleicht...

Fazit

Nüchtern betrachtet muss gesagt werden, dass ein etwaiges Outsourcen der Luftraumüberwachung für den Osten und Westen jeweils Verträge mit mindestens einem Staat erfordern würde, besser mehreren. Für Südösterreich käme aber überhaupt nur Kroatien in Frage wobei die derzeit dort im Einsatz befindlichen kleine Grüppchen MiG-21 praktisch das Ende ihrer Lebensdauer schon erreicht haben, die Ablöse allerdings noch nicht auf Schiene ist. Saab hat mal begonnen, anzubieten...

Besonders im Osten sind die Kapazitäten bei den Nachbarn so ausgedünnt, dass eine Übernahme weiterer Aufgaben - neben dem NATO-Verbund NATINADS oder der baltischen Rotation - durch diese faktisch nicht wahrgenommen werden könnte. Im Westen sähe es da zwar besser aus, unterm Strich muss aber gesagt werden dass das einzige Nachbarland, welches echtes know how in der Wahrung der Lufthoheit eines neutralen Landes hat, die Schweiz ist. Und die Schweiz befindet sich gerade mitten im Prozess der Beschaffung von 22 neuen Flugzeugen weil die vorhandenen 33 Hornets als nicht ausreichend - bei der Hälfte des Staatsgebiets Österreichs! - betrachtet werden, sobald die F-5 abgestellt werden.

Somit ist Österreich weder "so klein" dass es keineswegs sinnlos wäre hierzulande Luftraumüberwachung zu betreiben, dass das irgendwer so locker - und schon gar nicht als großartiger Einsparungseffekt viel billiger - einfach so mitmachen könnte.

Auch sind die Kapazitäten und Entfernungen im Umland weder so groß noch optimal. Am 11. September 2001 war das nächste einsatzbereite Kampfflugzeug 310km von New York City stationiert.....knapp 20 Minuten Flugzeit...selbst mit einer F-15 Eagle....zu lange um das Rennen gegen die Zeit zu gewinnen. Natürlich kann niemand sagen was die Piloten damals - ohne das Wissen von heute - gemacht hätten. Aber man weiß heute - aus der Erfahrung von damals - was notwendig ist um im Fall des Falles Optionen zur Hand zu haben. Technische Fakten wie Weg/Zeit-Diagramme lassen sich jedenfalls nicht populistisch ‚outsourcen'. Flieger abstellen schon. 1997 hat man in Kontinental-USA von 100 alarmbereiten Jets auf nur noch 14(!) reduziert....2001 hat man die Rechnung dafür präsentiert bekommen.

Wolfgang Sablatnig - er hätte jenes Interview mit Kräuter in der ‚Tiroler Tageszeitung' machen sollen - hat das verkehrt aufgezäumte Pferd völlig richtig erkannt. Natürlich, man könnte eine KRONE- und Pensionistenverschreckende Debatte darüber anfangen können, wie zeitgemäß die Neutralität noch ist. Das hätte am Anfang von Kräuter's Schaum in den Mundecken stehen sollen. Alle Länder um uns wussten sowieso immer, daß wir jene nicht wie die Schweizer oder einst Schweden auch dokumentieren sondern mit gekreuzten Fingern am Rücken leben. Am Ende eines solchen schmerzhaften und politischen Mut erfordernden Aufklärungsprozesses kann dann stehen fremde (NATO)-Flieger in Zeltweg zu stationieren und somit eine "baltische Lösung" anzustreben. Zwar ist auch die keineswegs gratis - ob wir Tunnel für alle bauen wird denen herzlich wurrscht sein - aber umgekehrt wird's auf keinen Fall gehen…

Das AIRPOWER-Team

Erreichen von Zeltweg aus alle Ballungsräume in Österreich binnen kürzester Zeit - die Österreichischen Eurofighter.
Foto: Georg Mader

Diametral zu Österreich sichert die Schweiz ihren Luftraum. Im Bild F/A-18 Hornet 33 Kampfflugzeuge sind dort zuwenig, es müssen weitere 22 beschafft werden lautet die Forderung des Parlaments an die Regierung.
Foto: Martin Rosenkranz


Überschall Sportmaschine hauteng anliegend....klein, schnell, durstig und ganz schnell trocken. Die MiG-21 eignet sich nicht zur Abdeckung großer Räume, ihre Tage sind gezählt.
Foto: Georg Mader


Abfangjägerstandorte in Mitteleuropa mit 200km Radius-Kreisen
Anklicken zum vergrößern.

Grafik: Martin Rosenkranz

2010 hat die Politik in der Schweiz beschlossen die 24/7 Luftraumüberwachung wieder einzuführen. Seither ist Österreich das einzige Land in Mitteleuropa welches in den Nachtstunden keine QRA-Rotte zur Verfügung hat.
Grafik: Schweizer Armee