Raketen gegen Raketen
Die US Abwehrstrategie gegen ballistische Raketen

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Beauftragt vom US Congress und geleitet durch eine Direktive vom Präsident Obama führte das US Verteidigungsministerium vom März 2009 bis Januar 2010 die erste vollständige Begutachtung der Strategie, der Kapazitäten und der Technik über Abwehrsysteme gegen ballistische Raketen zum Schutz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten.

Überblick

Die Gefährdung durch ballistische Raketen steigt sowohl Quantitativ als auf Qualitativ und wird diesen Trend auch über den lauf des nächsten Jahrzehnts weiter beibehalten. Es steigen Flexibilität, Mobilität, Überlebensfähigkeit, Verlässlichkeit, Treffergenauigkeit und Reichweiten. Ebenfalls verbessert werden Maßnahmen zum Schutz der Raketen am Boden und zur Überwindung von Raketenabwehrsystemen. Es ist noch unklar wann Staaten wie der Iran oder Nordkorea über Raketen verfügen werden, welche die Vereinigten Staaten erreichen können. Eindeutig ist jedoch eine Gefährdung von Partnern und Verbündeten der USA wie Japan, Südkorea, Israel, Saudi Arabien sowie div. NATO-Staaten in Südost-Europa bereits heute gegeben.

Die Strategie der USA gegen die Bedrohung durch ballistische Raketen

Die sechs Prioritäten der USA
US Verteidigungsminister Gates vor einer der 26 Abfangraketen in Fort Greely.
Foto: US DoD

Mobile Radaranlage AN/TPY-2
Foto: US DoD


Testschuss einer SM-3 von USS Hopper. Dies war der 19te erfolgreiche Test von gesamt 23.
Foto: US DoD

  1. Die Vereinigten Staaten werden ihren Bemühungen fortsetzen ihr Heimatland vor einem begrenzten Angriff mit ballistischen Raketen zu verteidigen.
  2. Die Vereinigten Staaten werden ihre Streitkräfte in Übersee vor regionalen Bedrohungen durch ballistische Raketen schützen und auch Alliierte und Partner schützen und ihnen ermöglichen sich selbst zu schützen.
  3. Bevor neue Kapazitäten beschafft werden müssen diese realistische Tests bestehen.
  4. Die finanziellen Belastungen durch neue Kapazitäten müssen finanziell langfristig tragbar sein.
  5. Sämtliche Systeme zu Abwehr ballistischer Raketen müssen mit Hinsicht auf künftige Bedrohungen adaptierbar sein.
  6. Die USA werden sich bemühen die Führungsrolle in den internationalen Bemühungen gegen ballistische Raketen einzunehmen.

Bestehende Kapazitäten zur Heimatverteidigung

Bemühungen im vergangene Jahrzehnt haben zu Einrichtungen geführt mit welchen die USA sich bereits heute in begrenztem Ausmaß gegen Angriffe mit Interkontinentalraketen schützen können - genannt "Ground-based Midcourse Defence" (GMD). Das System basiert auf bodengestützten Abfangraketen an zwei Standorten. Per Ende 2010 sind 26 Abfangraketen in Fort Greely (Alaska) am Ende des Alaska Highways stationiert. Weitere vier Abfangraketen sind auf der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien stationiert, ein riesiges Areal an der Pazifikküste zwischen Los Angeles und San Francisco, welches vor allem auch als Raketentestzentrum genutzt wird.
Um diesen Abfangraketen Zieldaten übermitteln zu können verfügen die USA über landgestützte fixe Frühwarn-Radaranlagen in Alaska, Kalifornien, Grönland und England sowie seegestützte mobile Radaranlagen wie das seegestütze X-Band Radar (SBX) und eine Anzahl von Kriegschiffen mit dem AEGIS Radarsystem. Außerdem eine fortschrittliche Kommando und Kontrollinfrastruktur welche in globalem Maßstab rasch auf Bedrohungen reagieren kann.

Diese Einrichtungen werden durch mehrere Maßnahmen ständig am aktuellen Stand der Technik gehalten und wo notwendig erweitert. Dazu zählen unter Beibehaltung der Bereitschaft Aktivitäten um die operationellen Kapazitäten in Fort Greely und Vandenberg weiter zu verbessern. Modernisierung der Raketensilos in Fort Greely und Erweiterung um bei Bedarf rasch acht zusätzliche Abfangraketen dort in Stellung bringen zu können.
Aufbau von Sensoren in Europa um die Radarabdeckung gegen ICBMs aus dem Bereich des Mittleren Ostens zu verbessern.
Investitionen in die Entwicklung und Verbesserung der STANDARD Missile 3 (SM-3) für zukünftig landgestützte Anwendungen.
Diverse Verbesserungsmaßnahmen am bestehenden GMD System, wie neue Sensor- und Raketentechnik.

Abwehr lokaler Gefahren

Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurden signifikante Fortschritte bei der Abwehr gegen ballistische Kurz- und Mittelstreckeraketen erzielt. So wurde das PATRIOT System gezielt im Bereich der Fähigkeiten zur Abwehr von ballistischen Raketen verbessert.
Landgestützte mobile Radarsysteme der Type AN/TPY-2 zur regionalen Flugbahnverfolgung sind an mind. zwei Standorten (Israel, Japan) im Einsatz.
Weiters verfügt das US Militär über eine begrenzte Anzahl an "Terminal High Altitude Area Defence" (THAAD) Abwehrraketen-Systeme, satellitengestützte Sensoren sowie seegestützte Kapazitäten (AEGIS-Zerstörer/Kreuzer mit einem Vertical Launching System der Type Mk41 und SM-3 Block IA Raketen).

Die nächsten Jahre

Bis Ende 2015 werden durch die USA verstärkt erprobte Systeme beschafft. Dies betrifft vor allem landgestützte Einrichtungen wie THAAD Abwehrraketen-Systeme, die AN/TPY-2 Radargeräte und den Bau von mobilen landgestützten AEGIS/SM-3 Systemen ("AEGIS Ashore").
Weiters wird die Leistung der SM-3 Rakete verbessert und bis Ende 2015 die Auslieferung der Bauart Block IB beginnen. Diese wird über einen verbesserten Sucher mit besserer Störunterdrückung und größerem Suchbereich verfügen und auf den AEGIS-Kriegsschiffen und dem AEGIS Ashore System stationiert. Block IB wird außerdem über die Möglichkeit verfügen AEGIS mit Daten von externen Anlagen zu versorgen um so gesteuert werden zu können. Damit ist die Abfangrakete nicht mehr auf die Reichweite des eigenen AEGIS-Radarsystems begrenzt und kann früher starten und somit weiter fliegen.
Weitere Entwicklungen betreffen den Bereich "Command and Control, Battle Management and Communication" (C2BMC). Hier soll das Situationsbewusstsein durch bestehende und zukünftige Kapazitäten und Sensoren und die Reaktionsfähigkeit mit Hilfe der bestehenden und zukünftigen Waffensystemen weiter verbessert werden.
Eine der Entwicklungen in diesem Bereich werden luftgestützte Infrarotsensoren sein welche an Bord von unbemannten Luftfahrzeugen (UAV) die simultane Entdeckung und Verfolgung einer größeren Anzahl ballistischer Raketen ermöglichen.
Erforscht wird derzeit noch die Option des "Early Intercept" (EI). Mit Hilfe einer Durchführbarkeitsstudie soll festgestellt werden ob es möglich ist mit bereits im Einsatz befindlichen oder in naher Zukunft verfügbaren Sensoren und Abfangraketen die ballistischen Raketen schon sehr früh in ihrem Flug abzufangen. EI ist nur zu realisieren wenn es gelingt die Zeitspanne ab Sensorerfassung bis zum Einsatz einer Waffe erheblich zu reduzieren, innerhalb von Sekunden müsste der Standort einer Abfangrakete in Reichweite ermittelt und für diese eine Feuerleitlösung errechnet werden.

Am Ende des Jahrzehnts

In den weiteren Jahre bis 2020 wird vor allem in die Verbesserung der SM-3 investiert.
Mit Block IIA soll durch Vergrößerung des Durchmessers der zweiten und dritten Stufe, auf das Maximum dessen was in einem VLS Mk 41 möglich ist, 21in (53cm) Geschwindigkeit und Reichweite der SM-3 gesteigert werden. Bei den derzeitigen SM-3 besitzt nur der Booster der Ersten Stufe einen Durchmesser von 53cm, die Stufen 2&3 nur 13,5in (34cm). Gleichzeitig steigt auf der Durchmesser des Radoms der Rakete ebenfalls auf 53cm wodurch größere Sensoren und leistungsfähigere Gefechtsköpfe möglich werden.
Mit Block IIB soll dann die Leistung der dritte Stufe der SM-3 nochmals gesteigert und der Gefechtskopf weiter verbessert werden.
Investiert wird auch in die Entwicklung von Datenlinktechnologien welche die SM-3 vollkommen unabhängig vom AEGIS machen - nicht nur die Erfassung eines Ziels würde extern stattfinden, auch der Uplink zur Rakete würde dann durch eine externe Quelle erfolgen womit auch die Steuerung einer SM-3 über die Reichweite des AEGIS hinaus geszteigert werden könnte.
In Entwicklung befinden sich außerdem satellitengestützte Sensoren welche die Verfolgung der gesamten Flugbahn einer ballistischen Raketen vom Weltraum aus möglich machen.
Durch so ein System würde sich der Aufwand für bodengestützte Radarsysteme erheblich reduzieren. Dieses "Precision Tracking and Space System" (PTTS) hat bereits Prioritätsstatus in den US Verteidigungsbudgets ab FY 2011.

Integration vorhandener Kapazitäten auf regionaler Basis

Ziel der USA ist es gemeinsam mit Alliierten und Partnern regionale Kapazitäten zur Abwehr von ballistischen Raketen zu stärken. Zielsetzung ist eine intensive Zusammenarbeit und eine gerechte Verteilung der Belastungen. Regionale Kapazitäten werden in Stufen ausgebaut und spezifisch auf die Anforderungen und Bedrohungen in der betreffenden Region abgestimmt sein. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts die Verfügbarkeit von Abwehrsystemen gegen ballistische Raketen nicht mit der Nachfrage mithalten kann wird das Hauptaugenmerk auf mobilen Systemen liegen welche nach Bedarf stationiert werden.

Region Europa

Unter Präsident Obama wurde im September 2009 eine neue Strategie zur Abwehr von ballistischen Raketen in Europa beschlossen und die Planungen der Bush-Administration entsprechend abgeändert.
Bis Mitte des laufenden Jahrzehnts wir der Fokus auf dem Schutz der US Verbündeten in Süd- und Südosteuropas durch den Einsatz von AEGIS/SM-3 Schiffen in diesem Bereich liegen. Diese Anstrengungen werden auch ein dort zu stationierendes Radarsystem unterstützt.
Ab 2015 soll in diesem Einsatzraum die SM-3 Block IB sowie weiter Sensoren und auch ein AEGIS Ashore System zum Einsatz kommen wodurch sich der abgedeckte Berech vergrößert.
Ab 2018 wird ein AEGIS Ashore System in Nordeuropa positioniert und sämtliche Systeme mit der SM-3 Block IIA nachgerüstet.
Ab 2020 schließlich soll SM-3 Block IIB stationiert werden.
Sämtliche Schritte werden auch Verbesserungen der Kommando- und Kontrollsysteme beinhalten.

Andere Regionen

Im Mittleren Osten und Ostasien sehen die USA ähnlichen Herausforderungen gegenüber, es gibt allerdings Unterschiede was Reichweite, Anzahl und Technik der ballistischen Raketen betrifft. Außerdem unterschiedet sich in diesen Regionen die Zusammenarbeit mit den Staaten deutlich von jenen in Europa. Mit Japan besteht eine enge Kooperation und Zusammenarbeit und es läuft eine gemeinsame Entwicklung eines zukünftigen Abwehrsystems.
In Israel sind die USA eingebunden als Co-Produzent des lokalen ARROW 2 Raketenabwehrsystems sowie weiterer Raketenabwehr-Forschungs- und Entwicklungsbemühungen.
Die USA haben außerdem mit der Zusammenarbeit mit einigen Golf-Anrainerstaaten begonnen.

Stärkung internationaler Zusammenarbeit

Eines der Hauptziele der USA ist es künftig expandierende internationale Bemühungen und Zusammenarbeit im Bereich der Raketenabwehr anzuführen. Ziel ist es ein Umfeld zu schaffen welches das Vertrauen von Staaten, welche derzeit in die Entwicklung, Beschaffung und Indienststellung von ballistischen Raketen investieren, in die Effektivität ihrer ballistischen Raketen erschüttert.
In Europa werden die Bemühungen innerhalb des NATO-Verbundes vorangetrieben. Im Mittleren Osten und Ostasien sind eine Vielzahl bilateraler Abkommen und Projekte zu diesem Zweck im laufen.

Die USA werden sich außerdem bemühen Russland und China für Raketenabwehr-Projekte zu gewinnen. Mit Russland steht man in Verhandlungen künftig Frühwarninformationen über Starts von ballistischen Raketen auszutauschen. Mit China steht man in generellem Dialog.
Im Rahmen dieser internationalen Zusammenarbeit und Dialoge lehnt die US Regierung jede Forderung betreffend der Einschränkung oder Einstellung der US Raketenabwehr-Bemühungen ab.

Management des US Raketenabwehr-Programms

Um zu gewährleisten, dass neu beschaffte System die ihn sie gesetzten Erwartungen bezüglich Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und langfristige Finanzierbarkeit erfüllen wurde im Juni 2009 ein neuer Zugang zu Systemtests angekündigt.
Boden und Flugtests werden ab nun laufend und über die ganze Bandbreite eines Programms durchgeführt. Kontrollen und Überarbeitungen der Testprogrammpläne erfolgen unterjährig.
Die gesamte Kontrolle aller im US Verteidigungsministerium mit Raketenabwehr-System betrauten sowie auch div. externer Stellen obliegt dem "Missile Defense Exekutive Board" (MDEB).

    

Das AEGIS BMD System

Per Anfang 2010 verfügte die US Navy über 20 AEGIS-Schiffe mit der Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Raketen - drei Ticonderoga-Klasse Kreuzer und 17 Arleigh Burke-Klasse Zerstörer. Haupteinsatzgebiet dieser Schiffe sind das Mittelmeer, der persische Golf und der westliche Pazifik. Bis 2012 soll die Anzahl der BMD-tauglichen Schiffe auf 27, bis 2016 auf 32 gesteigert werden. Es ist dezidiert nicht ausgeschlossen dass sämtliche AEGIS-Schiffe, es sind dies 22 Kreuzer und 65+ Zerstörer (inkl. im Bau) BMD-tauglich nachgerüstet werden.

Das AEGIS-System besteht aus vier Komponenten, dem AN/SPY-2 Radarsystem, dem AEGIS Combatsystem (Computer), dem Vertical Launching System Mk41 und diversen Versionen der STANDARD Boden/Luft-Rakete.

AEGIS ist direkter Nachfolger der ersten Generation schiffsgestützter Radar-/Raketensysteme in der US Navy und stellte deren Antwort auf die Taktik des Lenkwaffen-Sättigungsangriff dar. Die erste Generation an Lenkwaffen-Kreuzern und Zerstörern verfügte noch über dreh- und schwenkbare Raketenstarter mit ein oder zwei Startschienen, welche nach Abschuss einer Rakete in Ladeposition gedreht und aus einem Magazin neu beladen werden mussten.
Das System hatte den Nachteil, dass die Schussfrequenz beschränkt und Defekte in der Start- oder Nachladeeinrichtungen das Schiff wehrlos machte. Zudem war die Anzahl der im Flug befindlichen Raketen die das bordeigene Radar steuern konnte beschränkt.
Die AEGIS Entwicklung begann in den 60er Jahren. Ab 1973 erfolgte die Erprobung auf See.
1983 wurde mit der USS Ticonderoga das erste Schiff in Dienst gestellt welches über ein AEGIS System verfügte. Ab dem sechsten Schiff der Serie wurden alle folgenden auch mit dem Vertical Launching System (VLS) ausgestattet, welches den Verschuss der vertikal geladenen Raketen direkt aus dem Magazin ermöglichte. Geladen werden kann ein Mix aus verschiedenen Raketentypen - Boden/Luft-Raketen gegen Flugzeuge (SM-2 Versionen), Boden/Boden-Cruise-Missiles(Tomahawk), Anti-Schiff-Raketen (Harpoon), Anti-Uboot-Torpedos (ASROC) sowie Boden/Luft-Raketen zur Abwehr ballistischer Raketen (SM-3 Versionen). Die Anzahl der Zellen variiert je nach Größe des Schiffes. Ein Kreuzer der Ticonderoga-Klasse verfügt über 122 VLS-Zellen, ein Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse über 90 VLS-Zellen.

Die BMD Kapazitäten des AEGIS Systems werden in zwei Jahres-Schritten einer Modernisierung unterzogen. Die aktuelle 2010 Konfiguration ermöglicht die Zusammenarbeit von AEGIS mit der SM-3 Block IA Rakete, welche mangels explosiven Gefechtskopf einen direkten Treffer des Gefechtskopfes einer ballistischen Rakete benötigt um erfolgreich zu sein.

Ein VLS Mk41 beim beladen
Foto: US NAVY

Martin Rosenkranz für www.airpower.at