Russische Luftwaffe 2004
Zwischen Modernisierung und Desintegration

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Vladimir Putin und Vladimir Mikhailov:
Wohin geht die russische Luftwaffe ?
Zu Zeiten der UdSSR hatte das Militär einen Anteil von 7-11% am sowjetischen Nationalprodukt. Heuer sind es im etwas kleineren Russland noch 2,69% am russischen Nationalprodukt - 0,31% weniger als der russische Sicherheitsrat es für 2004 forderte.
Immerhin, mit 411,5 Mrd. Rubel (EUR 11,56 Mrd.) erhält das russische Militär 20% mehr Geld als letztes Jahr (allerdings gibt es auch eine entsprechend hohe Inflation), 14,2% (Rb 58 Mrd.) davon fließen in neu Ausrüstung und 13,4% (Rb 55 Mrd.) in Forschung und Entwicklung.
Trotzdem, der Anteil der russischen Luftwaffe (RFAF) an den 58-Rubelmilliarden für Beschaffungen sank und beträgt im Jahr 2004 nur etwa 15-16% (ca. Rb 9 Mrd. / ca. EUR 253 Mio.). Vor der Vereinigung der vormals unabhängigen Luftverteidigungskräfte und der Luftwaffe hatte jeder der beiden Teilstreitkräfte für sich ca. 15-16% Anteil am Beschaffungsbudget.
Generaloberst Vladimir Mikhailov, C-in-C der RFAF, bezeichnete die Situation als radikal verändert und unvorteilhaft für die RFAF. Trotz einer Steigerung des Militärbudgets um 20% leide die RFAF unter einer mangelnden Finanzierung. Seinen kleinen Anteil am Beschaffungsbudget bezeichnete er als "Ansporn zum Denken". Um Budgetmittel frei zu machen muss daher überflüssige und teure Hardware an die Industrie verkauft oder via Rosoboronexport ins Ausland exportiert werden.

Fliegerabwehr

Zwei 30mm Kanonen, 12 Kurzstreckenraketen, Zielsuch- und Zielfolgeradar sowie elektro-optische Zieleinrichtung und Mehrfachzielbekämpfung auf einem hochmobilen 8-Rad-Chassis machen "Pantsir" zu einem der kampfkräftigsten Luftabwehrsysteme für den Nahbereich. Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (50 Stk.) beschafft jetzt die RFAF selbst dieses System.
Foto: www.army-technology.com

Der Umbau einer nicht öffentlich bekannt gemachten Anzahl "Flanker's" zur Su-27SM soll finanziell gesichert sein.
Foto: RFAF/VVS-Archives

Ein Modernisierungsprogramm für die "alten" Tu-160 und eine ganz neue "Blackjack" gibt es für die RFAF.
2001 war die bisher letzte grosse Übung der ehem. Fernfliegerkräfte (Strategische Bomber) - man hat dabei in Alaska "angeklopft" und die US Air Force ein klein wenig aufgescheucht.
Foto: Martin Rosenkranz

Systeme die dem Sparstift zum Opfer fallen sind die bodengestützten Fliegerabwehrraketensysteme S-125 (SA-3 "GOA") und S-200 (SA-5 "GAMMON"). Deren Aufgaben werden laut Mikhailov besser durch die S-300 (SA-10 "GRUMBLE", SA-12A "GLADIATOR" und "SA-12B GIANT") übernommen. Ein Programm zur Lebensdauerverlängerung, reichweitengesteigerte Raketen, moderne mobile Reparaturfahrzeuge und der Ersatz alter Elektronikteile soll dei Leistung der S-300 steigern. Zudem kündigt der Generaloberst an, dass heuer die erste Batterie der neuen Almaz-Antei S-400 (SA-20 "Triumf") operationell wird. S-400 ist in der Lage ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen bis 3.500km Reichweite sowie Flugzeuge im C4ISR-Spektrum (AWACS, JSTARS, Jammer, etc.) auf große Distanzen zu bekämpfen.

Ein Auge hat man auch geworfen auf das 9M335 "Pantsir" SAM-System - eine verbesserte Version der SA-19 "GRISOM" für den Export. Das System hat sich in Manövern so bewährt, dass die RFAF es für die eigenen Einheiten beschaffen wird.

Fliegende Systeme

Nur zwei von insgesamt sieben Programmen zur Leistungssteigerung der Su-27 haben überlebt - Su-27SM und Su-34. Gemeinsam mit China wurde das Su-27SM Programm finanziert unter welchem das Flugzeug Verstärkungen von Zelle, Flügel und Fahrwerk erhält um eine größere Waffenlast tragen zu können (Steigerung des MTOW von 28,300kg auf 30,450kg)

Eine komplett neue Avionik, angelehnt an die Su-30MKK/MKI Export-Varianten, bringt die Leistung der inzwischen 15 Jahre alten Flugzeuge in den Bereich der modernsten Flanker-Varianten. Die hydraulisch-mechanische Flugsteuersystem wurde durch ein digitales Fly-by-Wire System ersetzt. Eine stark gesteigerte Signalverarbeitungskapazität des Radarcomputers vergrößert die Erfassungsreichweite, verbessert die Identifizierbarkeit und bringt Fähigkeiten zum Kampf gegen Bodenziele mit präzisionsgelenkter Munition. Des weiteren wurde die Su-27SM mit einem neuen Selbstverteidigungssystem und einem Glas-Cockpit ausgestattet. Mikhailov bezeichnet die Su-27SM als Generation 4+ Flugzeug.
Nachtsichtausrüstung für die Mi-24 Einheiten im Nord-Kaukasus.
Foto: Martin Rosenkranz
Die ersten fünf Konvertierungen wurden 2000 bestellt, von KnAAPO und MMPP Salyut durchgeführt und im Dezember 2003 an das 4th CBPiPLS (Trainingszentrum der RFAF) in Lipetsk geliefert worden. 20 weitere Maschinen sind in Arbeit. Wie viele der insgesamt rund 400 Su-27 der RFAF und der Russischen Marine umgebaut werden sollen ist nicht bekannt, das Budget für die gewünschte Stückzahl soll allerdings vorhanden sein. Ausgeliefert werden die Maschinen an die Militärdistrikte Nordwest-, West-, Südwest- und Ost.

Ebenfalls im Dezember 2003 flog erstmals die achte Su-34 im Sukhoi Werk in Novosibirsk. Die Avionik-Ausstattung der Maschine ist aus logistischen Gründen an die Su-27SM angelehnt - eine neue Spezifikation der RFAF. Zwei der älteren Maschinen sollen noch heuer die selbe Hardware erhalten.

Die Interessen an einem Su-25 Upgrade haben sich aufgrund hoher Kosten verringert. Derzeit ist nur ein Regiment für die Ausstattung mit Su-25SM vorgesehen. Nicht näher bezeichnete Modernisierungen sollen die Systeme Su-24, MiG-29 und MiG-31 erhalten. Von den ursprünglich150 auf MiG-29SMT umzubauenden Fulcrum's seien nach einer Neupositionierung im Jahr 2000 nur noch 40 gewünscht worden. Derzeit sollen in dieser Konfiguration 20 Maschinen ausgeliefert sein.

Keine Upgrades gibt es für die Aero L-39 Trainer. Während die zweite Yak-130 die Endfertigung bald verlässt und für eine Sekundärverwendung als Bodenkampfflugzeug vorgesehen ist, verhandelt die RFAF mit RAC MiG über das Leasing von 10-12 MiG-AT Trainern um eine Staffel damit auszurüsten.

Der Verlust zweier Tu-160 letztes Jahr - eine ist im Herbst abgestürzt, eine weitere wurde im Zuge der Ursachenermittlung absichtlich zerstört - wird 2004 zum Teil wettgemacht. Die RFAF wird eine neue Tu-160 erhalten.

Ein Modernisierungsprogramm für Tu-160, Tu-22M3 und Tu-95MS mit Konzentration auf die Bereiche Navigation, Zielsysteme und Bewaffnung soll ebenfalls im Laufen sein. Des weiteren werden die Wartungsprozeduren angepasst um Kosten zu sparen. Ermöglicht wird das durch die geringe Anzahl an Flugstunden welche diese Systeme in den letzte Jahren erzielt haben. In der Nord-Kaukasus-Region werden Hubschraubereinheiten mit Nachtsichtausrüstung versehen. Dafür wurde unterschiedliche Lösungen für Mi-24PN und Mi-8MTKO gewählt. Spezialeinheiten sollen "eine Hand voll" Ka-52 erhalten. Als Kampfhubschrauber der nächsten Generation wurde der Mi-28N gewählt, bis 2010 sollen davon 50 Stück beschafft werden. Der zweite Hubschrauber gebaut nach RFAF Spezifikationen soll Anfang 2004 erstmals fliegen, weitere drei sollen für ein 600 Stunden Flugtestprogramm gebaut werden. Forschungs- und Entwicklungsgelder fließen in den PAK FA (Perspektivnnyi Aviatsionnyi Kompleks Frontovoi Aviatsyi / russisches Jagdflugzeug-Konzept fünfte Generation), ein Prototyp soll 2007-8 erstmals fliegen, sowie in die Projekte An-70 und Il-76MF. Um die Zukunft des PAK FA Programms gibt es inzwischen äußerst unklare Aussagen. Alexander Khramchikhin, Direktor eines politisch-militärischen Analyseinstituts, meint, dass Russland derzeit das notwendige Geld habe, benötigt dieses aber um die eigenen Währungsreserven gegen den Dollarverfall zu schützen. Ökonomische und militärische Autoritäten in Russland leben in "parallelen Welten" und haben keinen gemeinsamen Zugang zu Problemen. Jedenfalls seien die potenziell bis zu USD 20 Mrd. hohen Entwicklungskosten nur dann aufzubringen, wenn ein hohes Exportpotential für das Flugzeug besteht.

Mühsam nährt sich....
Die achte Su-34 fliegt. Zwei sollen heuer neue Avionik erhalten.
Foto: Martin Rosenkranz

Moderne Finanzierungsideen auch bei der RFAF. Eine Staffel des neuen Jettrainer's MiG-AT soll geleast werden.
Foto: Martin Rosenkranz

Den Ka-52 wird es nur für Spezialeinheiten geben...
Foto: Martin Rosenkranz

...die Mi-28N wird der Kampfhubschrauber der nächsten Generation.
Foto: Martin Rosenkranz

Humankapazitäten gefährdet

Während also offenbar wieder mehr Geld für moderne Ausrüstung vorhanden ist - wenn auch in begrenztem Maße - dürften die angehäuften Personalprobleme die RFAF bald vor schwierige Probleme stellen.

Laut Generaloberst Vladimir Mikhailov ist im Jahr 2003 die durchschnittliche Anzahl an Flugstunden pro Pilot wieder auf über 40 pro Jahr gestiegen. Von 2001 auf 2002 sei die Anzahl an Flugstunden um 70% gestiegen, der Anstieg auf 2003 beträgt noch einmal 35%. Derzeit fliegen die jungen Piloten ca. 70-80 Stunden pro Jahr, ihre erfahrenen Kollegen durchschnittlich 20-30 Stunden/Jahr. Wunschziel wäre es eine Marke von 80-90 Stunden pro Pilot und Jahr zu erreichen, die Ausbildungszeit bis zum Einsatzpiloten von sechs auf vier Jahre bei 200 absolvierten Flugstunden zu senken. Allerdings dürften diese "Durchschnittszahlen" das eigentliche Problem elegant überdecken. So fliegen z.B. die Piloten von Transportflugzeugen mit rd. 50 Flugstunden/Jahr mehr als doppelt so viel als Piloten von Kampfflugzeugen. Generalmajor Oleg Kolyada, Chef der Flugsicherheit der RFAF, spricht daher von einer unkontrollierbaren Desintegration der Kampffliegerei. Ebenfalls schlimm dürfte es mit der Marinefliegerei stehen. Das Durchschnittsalter der Piloten ist um 10-15 Jahre gestiegen und nichts hält diesen Trend. Von den Abfangjägerpiloten haben 98% das Alter von 40 Jahren erreicht oder überschritten, keiner ist unter 36 Jahre alt und nur 1% der Abfangjäger-Navigatoren sind unter 40 Jahre alt. Nur 3% der Piloten erster und zweiter Klasse und 11% der Navigatoren erster und zweiter Klasse sind unter 36 Jahre alt. Generalleutnant Victor Sokerin, Kommandant der Baltischen Flotte der russischen Marine befürchtet, dass in fünf Jahren von heute kein Pilot für Kampfaufgaben mehr zur Verfügung stehen wird, weil alle Erste-Klasse Piloten den Dienst verlassen haben werden. In den letzten 12 Jahren hat sich die Anzahl der Piloten in der Baltischen Flotte um über ein Drittel verringert. Die Piloten der Flotte flogen zuletzt gerade einmal fünf bis sieben Stunden pro Jahr(!) da nur 10% des benötigten Treibstoffes vorhanden ist. Etwa 50% seiner Piloten hätten im letzten Jahr überhaupt nur einen einzigen Flug absolviert und das auch nur um für die Nahrungsmittelzuteilung oder Auszeichnungen qualifiziert zu bleiben.


Einsam zieh ich meine Runden....
Die meisten russischen Top-Piloten haben graue Haare und sind unersetzbar, denn jungen Nachwuchs gibt es kaum.
Foto: RFAF/VVS-Archives

Der Chef der Flugsicherheit der RFAF spricht von unkontrollierbarer Desintegration der Kampffliegerei. 2003 gab es insgesamt 11 Flugunfälle in der RFAF.
Foto: RFAF/VVS-Archives

You can't discount the fact that the Flanker is
a world-class-airplane... (US Air Force Magazine 10/2001)

Nur fliegen tut es im Ursprungsland kaum, das Weltklasse-Flugzeug....
Foto: RFAF/VVS-Archives

Ohne Geld nur Musi...
Bei nur ca. 40 Flugstunden pro Jahr bleibt genug Zeit für die Musik.
Foto: RFAF/VVS-Archives

Aber es gibt auch positivere Beispiele. Die Heeresfliegerei (Helikopter-Einheiten), welche am 1.Jänner 2003 von der Armee zur Luftwaffe transferiert wurden, haben seither ihren Bereitschaftsgrad von damals desaströsen 7-8% auf immerhin über 40% gesteigert.

Martin Rosenkranz

Luftwaffenbasen im russischen Riesenreich: 11 Zeitzonen und 19.990 km Aussengrenzen

Lokation und Aufteilung der Einsatzmittel nach russischen Militärbezirken:

Luft- und Luftverteidigungs-Spezialdistrikt Moskau im Rahmen des allg. Militärbezirkes Moskau: 1. Luftverteidigungs-Korps sowie Teile der früheren 16. Front-Luftarmee mit: 41 MiG-25R, 106 MiG-29, 62 MiG-31, 34 SU-14, 16 SU-24MR, 46 SU-25, 24 TU-95MS, 35 TU-22M3
Militärbezirk St. Petersburg: 6. Luft- und Luftverteidigungsarmee mit: 58 SU-24, 28 MiG-25, 18 SU-24, 116 SU-27 und 85 MiG-31
Kräftegruppe Kaliningrad: 1 Luft- und Luftverteidigungsregiment mit: 28 SU-27 (unter dem Kommando der baltischen Flotte)
Militärbezirk Wolga-Ural: 5. Luft- und Luftverteidigungsausbildungsarmee mit: 383 L-39, 13 TU-160, 24 TU-95MS und Hubschraubern
Militärbezirk Nordkaukasus (mit vereinigter Kräftegruppe Tschetschenien): 4. Luft- und Luftverteidigungsarmee mit: 84 SU-24, 30 SU-24MR, 98 SU-25, 103 MiG-29 und 75 SU-27
Militärbezirk Sibiren: 14. Luft- und Luftverteidigungsarmee mit: 56 SU-24M, 29 SU-24MR, 30 SU-25, 46 MiG-29, 39 MiG-31, 35 TU-22M3
Militärbezirk Fernost: 11. Luft- und Luftverteidigungsarmee mit: 97 SU-24M, 59 SU-24MR, 60 SU-25, 111 SU-27, 26 MiG-31, 24 TU-95MS, 35 TU-22M3

Stückzahlen 2004 :

Taktische Systeme: MiG-25R: 40; MiG-29A/S/UB: 355; MiG-31/M: 256; SU-27P/SM/UB: 442; SU-30/M: 2-5; SU-34: 5-8; SU-24M: 371, SU-24MR/P: 85; SU-25/T: 240; L-39C ~400; (+ eingelagerte Reserve von ca. 300 div. MiG-23, 250 MiG-29/UB und 60 MiG-27)
Strategische Systeme: TU-160: 13; TU-22M3/R: 127; TU-95MS: 76; (+eingelagerte Reserve von 99 älteren TU-22M)
Spezial-Systeme (AWACS, ELINT, SIGINT...): A-50: 12; AN-26R: 20; Il-22: 15; Il-76/87: 6;
Transport/Tanker/VIP: AN-24: 25, AN-26: 80; AN-32: 50; div. AN-12: 120; AN-72/74: 20; AN-124: 15; IL-76M: 250; IL-78: 15; (+ Spezial-Direktorat von Aeroflot / "Rossija" mit: 2 Il-96-300/400, 10 Il-62, 3 Il-18, 10 TU-134, 9 TU-154, 9 YAK-40 und 10 Mi-17)

Lokation, Aufteilung und Stückzahlen: Georg Mader