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"Feuer frei"
Im äußersten Fall schießt Deutschland Terror-Flugzeuge ab

In maximal 15 Minuten am Kontakt - F-4F Phantom der Bundesluftwaffe
Foto: Martin Rosenkranz
Berlin/Kalkar - 06.11.03 - "Wir wollen unter allen Umständen einen 11.September wie in den USA verhindern" - mit diesem Ziel vor Augen, beschloss der Deutsche Bundestag am Mittwoch, 05.11.2003 ein neues Luftsicherheitsgesetz, dass als letztes Mittel den Einsatz von Waffengewalt gegen Zivilflugzeuge gestattet.
Der deutsche Verteidigungsminister Dr. Peter Struck stellte aber klar - bevor dieser krasseste Fall eintritt hat die deutsche Luftwaffe alles zu tun um ein entsprechendes Flugzeug abzudrängen und/oder zur Landung zu zwingen. Hilft das nichts, bleiben auch Warnschüsse wirkungslos und bedroht das Luftfahrzeug unmittelbar das Leben von Menschen, kann der deutsche Verteidigungsminister als "ultima ratio" den Abschuss befehlen.

Da bei solchen "Renegade"-Vorfällen die Kompetenzen zwischen dem Verteidigungs- und dem Innenministerium geteilt sind - rechtlich ist der Bundesgrenzschutz zuständig, die Einsatzmittel stellt die Luftwaffe - wurde in Kalkar eine "Führungszentrale Nationale Luftverteidigung" als zentrales Koordinationselement für nationale lufthoheitliche Aufgaben eingerichtet. Dort arbeiten Soldaten der Bundeswehr und Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) - als absolutes Novum - gemeinsam an einem Lagetisch.

Abschuß ausschließlich nationale Angelegenheit

Bundesverteidigungsminister Struck betonte ausdrücklich, dass sonstige lufthoheitliche Aufgaben über dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich mit den Kräften und Strukturen der integrierten erweiterten NATO-Luftverteidigung (NATO IEADS - "NATO Integrated Extended Air Defence System") wahrgenommen werden.
Wenn allerdings ein Passagierflugzeug für terroristische Zwecke entführt wurde, sollen die "erforderlichen lufthoheitlichen Maßnahmen AUSSCHLIESSLICH in nationaler Zuständigkeit, unter nationalem Kommando sowie mit nationalen Mitteln durchgeführt werden".

Diese nationalen Mittel bestehen aus zwei Alarmrotten mit je zwei Jagdflugzeugen F-4F Phantom, welche nach Alarmierung in spätestens 15 Minuten am Kontakt sein müssen (Die 9-11 Maschinen waren zwischen 46 und 83 Minuten in der Luft gewesen). Stationierungsort der beiden Rotten sind das JG71 "Richthofen" im ostfriesischen Wittmund und das JG74 "Mölders" im bayrischen Neuburg an der Donau. Voll betankt und bewaffnet mit jeweils zwei Raketen des Typs AIM-9L "Sidewinder" werden diese Mittel rund um die Uhr betreitgehalten. Für Landungszwänge sind vorerst fünf Flugplätze vorgesehen - Hannover, Köln, München, Leipzig und Frankfurt.

Ursache für die nun erfolgte klare gesetzliche Regelung war ein Zwischenfall am 5. Jänner 2003, als ein geistig Verwirrter zu einem Irrflug über Frankfurt am Main startete und drohte, in das Gebäude der Europäischen Zentralbank zu stürzen. Damals hatten die Absprachen zwischen den einzelnen Behörden zu lange gedauert, Abfangjäger waren aufgestiegen, hatten aber nicht aktiv eingegriffen.

Nun kann das Informations- und Führungsnetzwerk in Kalkar den raschen Informationsfluss zwischen den Behörden gewährleisten. Verteidigungsminister Struck ist als letzte Instanz berechtigt den "Finalschuss" zu befehlen - wenn ein besonders schwerer Unglücksfall droht und nach Abwägung aller anderen Möglichkeiten zur Gefahrenabwendung.

Auch die Draken brauchen maximal nur rund 15 Minuten bis zum Abfang. Der Eurofighter wird die Abfangzeiten erheblich verringern.
Foto: ©Bundesheer
Auch andere Maßnahmen sollen Vorkommnisse wie die vom 11.September zukünftig verhindern. So sind ab bestimmten Flugzeuggrößen nunmehr Schuss- und einbruchssichere Cockpittüren, die nur vom Cockpit aus zu öffnen sind und im Flug geschlossen bleiben müssen, für die Zivilluftfahrt zwingend vorgeschrieben.
Was allerdings passiert, wenn Entführer die Flugbegleiter überwältigen und in der Kabine der Reihe nach Geiseln töten um den Zutritt zum Cockpit zu erzwingen, weiß niemand. Für solche Extremfälle hat man sich daher jetzt Rechtssicherheit geschaffen.

Zusammenarbeit angestrebt

Doch nicht nur Deutschland ist auf den "Fall-X" vorbereitet - auch Österreich hat die Abläufe optimiert. So ist nicht mehr nur der Verteidigungsminister berechtigt einen Alarmstart zu befehlen, sondern die Kompetenzen hierfür liegen in der Luftraumüberwachungszentrale selbst. Und während noch die Piloten zu ihren Maschinen laufen wird der Minister bzw. bei Nichterreichbarkeit der Generalstabschef kontaktiert. Abwechselnd in Graz, Linz oder Zeltweg stehen jeweils eine Draken-Alarmrotte sowie eine Reservemaschine - bewaffnet mit Bordkanone und Sidewinder-Raketen - bereit.
Und auch die länderübergreifende Zusammenarbeit ist in Umsetzung. So ist man in der Lage die Luftraumüberwachungszentralen von Deutschland, der Schweiz und Österreich zusammenzuschalten um einen lückenlosen Informationsaustausch zu garantieren. Gen.Mj. Erich Wolf stellte in einem ZIB-Interview fest: "Bewegungen wie sie in den USA am 11.September 2001 stattgefunden haben, würden in Europa maßstabgetreu drei bis vier Staaten berühren und dem kann nur begegnet werden, wenn man zusammen arbeitet".

Martin Rosenkranz